Schön, weich, gut – Essen bei Schluckstörungen

Im REHAB Basel gilt: Gerade wenn das Schlucken wieder erlernt werden muss, soll das Essen appetitlich aussehen.

Eine falsche Konsistenz des Essens ist für Patient*innen mit einer Schluckstörung (Dysphagie) gefährlich. Gelangen Speisen in die Lunge, kann sich unter Umständen eine Lungenentzündung entwickeln. Nebst der Sicherheit ist aber auch die Ästhetik ein wichtiger Faktor. Die Diätköch*innen im REHAB Basel haben immer mehr attraktive Dysphagie-Rezepte in ihrem Repertoire.

Die Zucchetti sehen aus wie Zucchetti, der Reis wie Reis, der Fleischkäse wie Fleischkäse. Nie würde man erwarten, dass Zucchetti, Reis und Fleischkäse so weich sind wie eine Crème oder ein Pudding. Die Rede ist von zeitgemässer Dysphagie-Kost: kunstvoll präparierte Lebensmittel für Menschen mit einer Schluckstörung.

So weich wie eine Crème.

Komplexes Schlucken
Rund vier Fünftel der Patient*innen im REHAB Basel haben bei ihrem Eintritt eine Schluckstörung, im Bereich Hirnverletzungen sind es noch mehr. Die Nahrungsaufnahme durch den Mund ist ein komplexer Prozess in mehreren Phasen. Zuerst sehen und riechen wir die Nahrung, dann führen wir sie in den Mund ein, kauen sie, sofern sie gekaut werden muss, befördern sie mit der Zunge in den Rachen und schlucken sie, damit sie in der Speiseröhre weitertransportiert wird. Jede dieser Phasen kann beeinträchtigt sein. Das gilt auch für die erste Phase: den Anblick.

Vom Brei zum «Smoothfood»
Menschen mit einer Schluckstörung können eine Speise nicht essen, wenn sie die falsche Festigkeit hat. Geeignet ist in der Regel eine weiche Konsistenz, die nicht klebt. Das Essen sollte mit der Zunge am Gaumen zerdrückt werden können. Als Lösung liegt es nahe, Lebensmittel einfach in den Mixer zu werfen. Das Resultat sieht unappetitlich aus und schmeckt nicht. Lange wurde in Spitälern und Heimen das Essen für Menschen mit Schluckstörungen auf diese Weise zubereitet und lieblos auf den Teller geklatscht.

Diätkoch Jonas Brunner produziert Bohne für Bohne.

Das Auge isst mit, sagt man. Wir kennen das Gefühl, wenn wir eine unserer Lieblingsspeisen sehen und uns das Wasser im Munde zusammenläuft. Um das Jahr 2010 herum entstand das Konzept des «Smoothfood». Die Grundidee: Essen für Personen mit einer Schluckstörung wird zuerst püriert und dann wieder in die Form des ursprünglichen Lebensmittels gebracht, mitsamt richtiger Farbe und Oberfläche. Dabei darf der Geschmack nicht verloren gehen.

Rezeptaustausch unter Kliniken
Wenn Denise Wyss, Souschefin und Diätköchin im REHAB Basel, über Dysphagie-Kost spricht, spürt man ihre Begeisterung. Wie viel Arbeit steckt dahinter, bis zum Beispiel die Zucchetti-Scheiben zubereitet sind? «Der Aufwand ist gross», erklärt Wyss. «Der innere Teil der geschälten Zucchetti wird gekocht, püriert, mit einem Bindemittel verarbeitet, in eine Metallröhre gefüllt und gekühlt. Die Schalen werden gekocht, püriert und flach ausgestrichen. Das gekühlte Innere wird dann mit den vorbereiteten Schalen umwickelt und das Ganze in Scheiben geschnitten. Diese werden schliesslich mit einer Mischung aus Feuchtigkeit und Heissluft auf die gewünschte Temperatur gebracht und angerichtet.»

Dysphagie-Kost entsteht in vielen Arbeitsschritten.

Besonders anspruchsvoll sei die Zubereitung von Fleisch, weil die Faserung imitiert werden müsse. «Wir experimentieren laufend und scheuen keinen Aufwand», sagt Wyss. Es gibt auch einen wertvollen Austausch mit anderen Kliniken. «Früher behielten die Klinikküchen ihre Rezepte für sich», erzählt Wyss, «heute kann ich die Kolleginnen anderer Kliniken anrufen und fragen: 'Wie macht ihr das?' Wir inspirieren uns gegenseitig.»

Die Dessertspezialistin
Auch süsse Dysphagie-Kost steht im REHAB auf dem Speiseplan. Kürzlich wurde den Patient*innen mit Schluckstörungen erstmals ein Obstsalat serviert. Aprikosen, Bananen, Himbeeren, Brombeeren – alles sieht originalgetreu aus und schmeckt auch so.

Sehr eindrücklich ist die Linzertorte. Das Rezept wurde von Noëmi Wirz entwickelt. Die Lernende im REHAB Basel hat sich im Rahmen ihrer Ausbildung zur Diätköchin auf Desserts spezialisiert. Der Teig ihrer Linzertorte hat die typische Struktur und Farbe, ist aber weich und geschmeidig wie das ganze Tortenstück. «Ich esse diese Linzertorte inzwischen lieber als das Original», sagt ihre Vorgesetzte, Souschefin Denise Wyss.

Im Rahmen der Ausbildung zur Diätköchin im REHAB hat Noëmi Wirz ihre delikate Linzertorte entwickelt.

Sicherheit und Lebensqualität
Dr. Anna Czernuszenko ist im REHAB Basel Oberärztin auf Station 1, der einzigen Wachkomastation der Schweiz. Zu den verschiedenen Krankheitsbildern gehört in der Regel eine Veränderung der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung. Viele Patient*innen haben eine Dysphagie. Die Frage der Ernährung sei zentral, sagt Czernuszenko. «Auch für jemanden, der in seiner Wahrnehmung und seinem Verständnis eingeschränkt ist, ist das Essen etwas Selbstverständliches. Nur noch breiartiges Essen zu sich nehmen zu dürfen, ist eine starke Einschränkung der Lebensqualität. Als Ärztin muss ich abwägen: Auf der einen Seite steht die Sicherheit. Verschlucken von Nahrung kann zu einer lebensgefährlichen Lungenentzündung führen. Auf der anderen Seite steht die Lebensqualität. Diese Abwägung ist gar nicht so einfach.»

Behutsam präparierte Beeren und Früchte bereichern das Dessertangebot.

Durch die attraktive Dysphagie-Kost wird das Dilemma abgemildert. Czernuszenko erklärt: «Wenn das Essen so zubereitet ist, dass es in Farbe, Form und Geschmack dem ursprünglichen Produkt weitgehend entspricht, dann haben die Patienten Lust, es zu essen, und sie sind eher bereit, die Ernährungsempfehlungen und -einschränkungen mitzutragen.» Zudem sei es dann auch einfacher, die gewünschte Kalorienzahl zu erreichen.

So früh wie möglich wieder schlucken
Damit die neuen kulinarischen Kreationen die hohen Qualitätsansprüche der Dysphagie-Kost erfüllen, gibt es im REHAB eine enge Zusammenarbeit zwischen Küche und Logopädie, welche unter anderem auf die Therapie von Schluckstörungen spezialisiert ist. Wie hat man sich diese Therapie vorzustellen? Nina Clobes, Leiterin der Logopädie im REHAB Basel, betont: «Die Therapie muss exakt auf das Problem abgestimmt werden, auf den sogenannten Pathomechanismus. Am Anfang steht immer eine gründliche Diagnose.» Dafür gibt es verschiedene Techniken, von der genauen Beobachtung bis zu Untersuchungen mit top modernen Instrumenten. Vieles kann beeinträchtigt sein: die Wahrnehmung (sehen, riechen), das Spürempfinden im Mund, die Kraft oder die Koordination beim komplexen Schluckvorgang.

Im REHAB werden täglich 12 bis 20 Dysphagie-Menüs serviert.

«Schlucken lernen durch schlucken» sei der Grundsatz im REHAB, sagt Clobes. Das Schlucken soll im Rehabilitationsprozess so früh wie möglich angeregt werden, zum Beispiel mit etwas Wassereis oder Sorbet. Geschmackliche Vorlieben werden unbedingt berücksichtigt. Nochmals Clobes: «Liebt jemand Kaffee, dann bieten wir vielleicht am Anfang ein halbes Löffelchen Kaffeeschaum an, um zu stimulieren und zu motivieren. Auf die Motivation der Patient*innen sind wir in der Therapie angewiesen, denn es muss täglich geübt werden. Idealerweise freuen sich die Patient*innen über jeden kleinen Schritt auf dem Weg zurück zum selbständigen Essen und Trinken.»


Zurück zur Übersicht
Die Webseite verwendet Cookies: Cookies helfen uns bei der Bereitstellung unserer Dienste. Durch die Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Mehr erfahren
Datenschutz akzeptieren