11.01.2023
Wer bei einem schweren Unfall mit dem Kopf gegen ein Hindernis prallt, braucht während der Rehabilitation oft einen Moment, um sich in der Welt wieder zurechtzufinden. Häufig sind die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt, aber auch körperliche Funktionen müssen erst wieder trainiert werden. Auf der besonders geschützten SAP Station im REHAB Basel begleitet der Logopäde Sandro Monti Patient*innen mit einem Schädel-Hirn-Trauma auf ihrem Weg.
Wer im REHAB Basel auf Sandro Monti treffen will, muss sich in dem Gebäude ein wenig auskennen. Erst den langen Gang hinunter, dann durch eine grosse Tür, und erst dort – in einem gesonderten Bereich der Klinik – ist Sandro Monti anzutreffen.
Der 33-jährige Logopäde arbeitet auf der Abteilung für schwer verhaltensauffällige Patient*innen und kümmert sich dort um Menschen, die nach einem Unfall oder einer Krankheit stark desorientiert sind. Es sind Personen, die zum Teil nicht wissen, ob es Tag oder Nacht ist, die einen starken Bewegungsdrang haben oder die ungehemmt Laute von sich geben.
Für Schädel-Hirn-Trauma-Patient*innen, bei denen die Kopfverletzung derart gravierende Folgen hatte, hat das REHAB Basel im Jahr 2020 einen gesonderten Bereich eingerichtet. Hier haben sie die Möglichkeit, in einer geschützten Umgebung wieder zu sich zu finden – und hier nimmt sich Sandro Monti ihrer an.
«Ihre Welt, ihr Körper, ihr Hirn sind stark durchgeschüttelt worden», sagt Sandro Monti über den Zustand der Patient*innen, die er betreut. Manche müssen künstlich ernährt werden und können noch nicht wieder selbst schlucken, manche können noch keine feste Nahrung zu sich nehmen oder wissen gar nicht, was sie mit einem Teller voll Essen anfangen sollen.
«Also schaue ich zuerst einmal, was geht» erklärt Sandro Monti seine Herangehensweise. Er schaut zum Beispiel, ob jemand versteht, dass es am Esstisch ums Essen geht. Manchmal muss er erklären, dass es sich bei einem Broccoli um ein Lebensmittel handelt und dieses zum Essen da ist. Oder er muss prüfen, ob jemand versteht, dass man einen Becher voll Wasser zum Mund führen soll und ob das motorisch möglich ist. Oft beginnt er mit einem Kaffeelöffel voll Flüssigkeit und schaut, ob die Person die Lippen spitzt und das Wasser schlucken kann. Oder ob ein Löffel voll Brei den richtigen Weg in die Speiseröhre nimmt.
Die Menschen, die Sandro Monti betreut, stehen ganz am Anfang ihrer Rehabilitation und haben einen langen Weg vor sich. Es braucht viel Einfühlungsvermögen und Erfahrung von seiner Seite, um diese Patient*innen abzuholen und sie richtig unterstützen zu können.
Bei der klinischen Logopädie, wie sie im REHAB praktiziert wird, geht es um weit mehr als darum, den Patient*innen eine korrekte Aussprache beizubringen. Oder mit jemandem das scharfe S zu trainieren. Es geht um den ganzen Prozess - vom Verstehen einer Situation über die Fähigkeit zu schlucken bis hin zum essen und sprechen lernen.
Sandro Monti, der ursprünglich einmal Lehrer werden wollte, geht in seinem Beruf voll auf. «Ich habe mich schon immer für Sprache interessiert, aber auch für Anatomie und Physiologie», blickt er zurück. Nach einem Bachelor in Englisch und Geschichte jobbte er für ein paar Monate in einem Altersheim und fand dort Gefallen am Spitalumfeld.
Bis zum Entscheid, Logopäde zu werden, war es dann nicht mehr weit. «Die Logopädie vereint für mich den pädagogischen Aspekt – man bringt jemandem etwas bei – mit der medizinischen Seite. Das gefällt mir.» Also belegte Sandro Monti an der FHNW in Muttenz den Studiengang Logopädie und machte sein letztes Praktikum auf der SAP Station des REHAB.
«Wie für jeden Logopäden war auch für mich am Anfang alles neu», sagt er. «Aber man lernt durchs Mitlaufen und Mitschauen und hat hier stets einen Mentor zur Seite.» Angst, dass er vor unlösbare Aufgaben gestellt würde, hatte er keine. Durch das grosse Team an Logopäd*innen im REHAB und durch die interprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen Therapeut*innen und Pflegenden sah er sich in ein Umfeld eingebettet, in dem er Schwierigkeiten mit anderen besprechen konnte.
Seit gut anderthalb Jahren arbeitet er nun zu 80 Prozent als Logopäde im REHAB. Dass er nicht zu 100 Prozent arbeitet, ist im REHAB eher die Regel denn die Ausnahme. «Bei uns arbeiten viele zwischen 40 und 80 Prozent. Der Therapeutenberuf bietet sich dafür an», schätzt Sandro Monti die Situation ein.
Innerhalb seiner 80 Prozent therapiert er Patient*innen, schreibt Berichte und nimmt an Fachtagungen und Weiterbildungen teil. Da er auf einer Station mit verhaltensauffälligen Menschen arbeitet, beabsichtigt er, sich im Umgang mit psychomotorisch angetriebenen Patient*innen weiterzubilden. Oder einen Kurs zum Umgang mit Fremdaggressivität zu machen. Er betont aber, dass die Personen auf der SAP Station nicht grundsätzlich aggressiv seien, sondern manche Situationen wegen ihrer Hirnverletzung einfach noch nicht richtig einordnen könnten.
Wie schnell sie sich erholen, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Er freue sich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Ganz einfache Sätze von Patient*innen wie «Ich möchte einen Kaffee», die plötzlich wieder gelingen, machen Sandro Monti mehr als zufrieden.
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