06.03.2023
Pierre Lippert ist Physiotherapeut auf der Intermediate Care Unit des REHAB Basel. Er arbeitet dort mit Menschen, die nach einem Hirnschlag oder einem Unfall direkt von der Intensivstation eines Akutspitals ins REHAB kommen. Er ist fasziniert von der Frührehabilitation und unterstützt Patient*innen dabei, ihre Genesung so schnell wie möglich in Angriff zu nehmen.
Es ist eine beeindruckende Erfahrung, von Physiotherapeut Pierre Lippert durch die Intermediate Care Unit des REHAB Basel geführt zu werden. Vier Zimmer hat diese Abteilung, und in allen liegen zwei Menschen, die auf höchste Betreuung angewiesen sind.
Einige sind noch an Beatmungsmaschinen angeschlossen, andere sind erst schwach bei Bewusstsein und manche sind ohne eigene Kraft auf Kissen und Matratzen gebettet. Ihr Wohlergehen liegt ganz in den Händen ihrer Betreuer*innen, einer davon ist Physiotherapeut Pierre Lippert.
Der 26-jährige Elsässer ist seit anderthalb Jahren Physiotherapeut im REHAB Basel und er sagt etwas Erstaunliches: "Wir wollen Patient*innen so schnell wie möglich wieder auf die Füsse bekommen." Auf die Füsse? Zu einem Zeitpunkt, da sogar das Atmen schwerfällt?
"Ja, mit den richtigen Hilfsmitteln ist ganz vieles möglich", sagt Pierre Lippert. Er benutzt sehr häufig das sogenannte "Standing-Gerät", das Patient*innen am Becken stabilisiert und auch querschnittgelähmten Menschen ermöglicht, ein erstes Mal wieder auf ihren Füssen zu stehen. Die Patient*innen so schnell wie möglich zu mobilisieren, ist deshalb wichtig, weil umso mehr Funktionen verloren gehen, je länger man wartet.
"Und es ist unbezahlbar, zu sehen, was es bei den Menschen auslöst, wenn sie wieder auf ihren Füssen stehen", sagt Pierre Lippert. Oft sind es nicht Worte, mit denen die Patient*innen mitteilen, was in dem Moment in ihnen vorgeht. Pierre Lippert sieht ihnen ihre Emotionen an, wenn sie lachen, wenn ihr Puls hoch geht oder ihnen die Tränen kommen.
"Hier geschieht sehr vieles nonverbal", sagt Pierre Lippert und erzählt, wie er hier auf der Intermediate Care Unit gelernt habe, die Menschen zu lesen und zu beobachten. "20 Prozent der Kommunikation geschieht verbal, 80 Prozent nonverbal." Auch Schmerzen sieht er den Menschen an, zum Beispiel, wenn sie anfangen zu schwitzen, unruhig werden oder sich die Haut rötet.
Dass im REHAB Basel schon so früh erste Erfolge möglich sind, liegt auch daran, dass, wenn immer nötig, zwei Physiotherapeut*innen gleichzeitig mit einer Patient*in arbeiten. "So haben wir es sogar schon geschafft, mit Menschen an Beatmungsmaschinen im Flur zu gehen", sagt Pierre Lippert, und dabei ist ihm anzuhören, dass auch er selber darüber staunt.
Die gute Infrastruktur macht ganz gezielte Trainings möglich, so zum Beispiel Gangtrainings auf einem robotergestützten Exoskelett. Dabei werden Patient*innen auf einem Laufband mit einem Gurt um den Rumpf stabilisiert und die Beine mit Schienen versehen. Der Roboter setzt dann die Schienen und damit die Beine in Bewegung. "So können die Nervenbahnen zwischen den Muskeln und dem Gehirn trainiert werden", sagt Pierre Lippert.
Oft arbeitet er auch mit Ergotherapeut*innen zusammen, um die Patient*innen einen weiteren Schritt voranzubringen. Für ihn sei dieser interprofessionelle Ansatz eine Bereicherung, er habe dank dieser Zusammenarbeit auf ganz neue Dinge zu achten gelernt. "Wenn heute zum Beispiel jemand nicht optimal im Rollstuhl sitzt, fällt mir das auf und ich kann etwas dagegen tun. Früher wäre mir das nicht aufgefallen."
Dass Pierre Lippert Physiotherapeut geworden ist, hat sehr direkt mit seinen Erfahrungen im REHAB Basel zu tun. Vor seiner Ausbildung hat er hier ein Pflegepraktikum absolviert und anschliessend ein Jahr als Pflegehilfe gearbeitet.
Er konnte die verschiedenen Berufe im REHAB kennenlernen und war von der Arbeit der Physiotherapeut*innen so inspiriert, dass er das Studium in Deutschland in Angriff nahm. "Ich habe hier gesehen, mit welcher Passion die Physiotherapeut*innen ihre Arbeit machen, das hat mich beeindruckt."
Er glaubt, dass ihn dieser Beruf nicht gleich stark fasziniert hätte, wenn er ihn in einer Physiotherapie-Praxis kennengelernt hätte. "Es sind zwei verschiedene Welten. Hier haben wir mehr Zeit für die Patient*innen und die Ressourcen, wirklich gut mit ihnen zu arbeiten."
In seiner Arbeit legt Pierre Lippert Wert darauf, die Übungen in alltägliche Situationen der Patient*innen einzubauen, so dass sie einen Sinn darin sehen. "Wenn ich ihnen sage, wir üben nun das Gehen, dann ist das nicht so motivierend. Wenn wir uns aber zum Ziel setzen, zu den Pferden im Tiergarten zu gehen, dann kommen die Leute von alleine mit."
Er erkundigt sich jeweils bei den Angehörigen der Patient*innen, was sie gerne gemacht haben. Wenn jemand Sport mag, trainiert er zum Beispiel mit einem Ball mit ihnen, oder mit einem Musikbegeisterten macht er etwas in Richtung Musiktherapie.
Sobald die Menschen stabil sind, wechseln sie von der Intermediate Care Unit auf eine andere Station im REHAB. Dies geschieht in der Regel nach ein paar Wochen, wenn sie keine Zugänge wie Infusionen oder Trachealkanülen zur Beatmung mehr haben.
Dann sieht Pierre Lippert sie nur noch, wenn er auf einer anderen Station aushilft oder er begegnet ihnen im Gang. Manche Patient*innen erinnern sich nicht mehr an ihn, weil sie während ihrer Zeit auf der Intermediate Care Unit noch gar nicht recht bei Bewusstsein waren. Andere hingegen wissen noch ganz genau, dass er es war, der ihnen wieder auf die Füsse geholfen hat.
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